Das Nest deutscher Emigranten in und um Los Angeles in den 1940er Jahren ist sicher eines der spannendsten Themen, die es in der Exilforschung gibt, ein Tummelplatz von Intrigen und Rivalitäten der deutschen Literatur wie nur das Weimar um 1800. Umso erstaunlicher ist, dass es bislang an wissenschaftlichen Überblicksdarstellungen fehlt. Neben populären Einführungen1 ist immer noch der von John M. Spalek edierte Sammelband Deutsche Exilliteratur seit 1933: Kalifornien (1976) zu nennen, hinzu kommen eine Fülle autorphilologischer Darstellungen zu den kanonischen Schriftstellern wie Brecht und Thomas Mann. Mit dem Abflauen der Exilforschungs-Konjunktur – Ehrhard Bahr meint, bedingt durch den Theorieschub in den Geisteswissenschaften – war eine Gesamtdarstellung nicht mehr zu erwarten, das Feld galt als bestellt und war zudem auch schon Gegenstand des gehobenen Boulevardtheaters geworden: Christopher Hamptons vergnügliche Tales from Hollywood (1982) waren ein Bilderbogen aus Klatsch und Anekdoten, montiert aus Brechts Journalen, Geschichten um Heinrich und Nelly Mann sowie dem dandyhaften jüngeren Bruder Thomas, das alles aus der Sicht eines auferstandenen Ödön von Horváth. Auch wenn man sich Bahrs enthusiastischer Wertung, die Flüchtlinge hätten hier ihre “major works” verfasst, nicht in jedem Fall anschließen mag, ist ihm doch ein überaus anregendes Buch gelungen. Seine Monographie Weimar on the Pacific überzeugt zu allererst durch ihre oft zum ersten Mal vorgenommenen Kontextualisierungen. Die Emigrantenszene soll in ihrer Gesamtheit dargestellt werden: Es ist eben nicht nur von Literatur die Rede, Bahr eröffnet seine Studie mit Kapiteln über die Dialektik der Aufklärung (1946) und Adornos ästhetische Theorie nach 1945; er berücksichtigt Brecht/Langs Hollywood-Film Hangmen also die (1943) ebenso wie die letzten Jahre und Werke Arnold Schönbergs und die Bauten der in Österreich geborenen Architekten Richard Neutra und Rudolph M. Schindler. Als Beispiel für politische Richtungskämpfe innerhalb der Exilantengruppe beschreibt Bahr das Council for a Democratic Germany. Auch innerhalb der Literatur überzeugt der Fokus: Die nur noch gemäßigt modernen, ja zum Teil antimodernen späten Romane von Franz Werfel und Alfred Döblin werden ebenso vorgestellt wie Thomas Manns Doktor Faustus und Brechts Galileo Galilei, Brechts Lyrik der Zeit soll als ganzes Korpus betrachtet werden, nicht nur einzelne Gedichte herausgegriffen. Entgegen einem Großteil der bisherigen Rezeption weist Bahr nach, dass es sich dabei nicht um mimetische Lyrik handelt.
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1866-5381.2008.02.16 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 1866-5381 |
Ausgabe / Jahr: | 2 / 2008 |
Veröffentlicht: | 2008-12-15 |
Seiten 417 - 418
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